Auf Dulcibellas Spuren: Im Nebel um Scharhörn

 

Der Plan

„Wir kamen bald an eine Stelle, die, wie ich annahm, der Anfang des Telte-Priels sein musste. Rundum konnte ich die Brecher über dem Sand hören, obwohl das Wetter noch zu schlecht war, um sie zu sehen. Da sich das Wasser verflachte, wurde auch der Seegang kabbeliger. Der Wind nahm zu – es war ein ausgewachsener Sturm, sollte ich sagen.“

Erskine Childers, „Das Rätsel der Sandbank“, erschienen 1903

 

Ende März 2017 machten Karsten und ich uns auf Spurensuche der „Dulcibella“, aus Childers maritimen Agentenroman „Das Rätsel der Sandbank“:

Nach einem frühen Start um 7:30 in Spieka Neufeld umhüllt uns sofort die Wattewand eines diesigen Nebels, die uns bis zum Mittag nicht loslassen wird.

Die Sichtweite liegt bei geschätzten 100 Metern. Bei völliger Windstille ist das Wasser glatt wie Öl.

Paddeln wie auf Öl

Zu unserer großen Überraschung gibt es nach Ende der beprickten Einfahrt nach Spieka fast keine Seezeichen mehr. Nicht nur sind komplett alle(!) Pricken im Weser-Elbe Wattfahrwasser und Neucappeler Tief verschwunden bzw. noch nicht wieder ausgebracht, auch die meisten Tonnen sind nach dem eisreichen Winter verdriftet und nicht mehr auffindbar.

Allein die WE12a treffen wir noch an und sind sicher, dass die Ansteuerung Spieka WE12 sowie WE14, W14a und WE16 nicht vorhanden sind.

Offenbar ist kein „Tonnen-Tag“ witzeln wir, das WSA muss diese wohl wegen der Gefahr einer Kollision bei der schlechten Sicht kurzfristig eingeholt haben.

Nun denn, muss auch so gehen denken wir und mit 5-6kn versuchen wir dem Kompass zu folgen, was mir in der Führung deutlich schlechter gelingt als Karsten in seinem extrem spurtreuen „Langeoog“.

Es zieht zu!

So tasten wir uns also in bester Davies Manier, der sich ja vorzugsweise lotend orientierte, am Rande der aus dem Nebel auftauchenden Sandbankränder voran und korrigieren unseren Kurs, wenn wir anhand einer leichten Gegenströmung feststellen, dass wir zu weit auf die nächste Bank gefahren sind.

Gleich zu Beginn interessiert sich ein Pärchen Schweinswale für uns und kommt vorsichtig näher. Als die beiden erkennen, dass da wieder nur langweilige Seekajakfahrer und keine silbrigen Schuppenträger unterwegs sind, wenden sie sich empört ab und suchen das Weite.

Das sich nach Westen öffnende Westertill ist die wegen zahlreicher zwischen den Seitensandbänken liegenden Mittelbänke etwas unübersichtliche Alternative zum Hauptwattfahrwasser nach Scharhörn, dem Oster- und Nordertill.

Aber genau hier spielt die anfänglich zitierte Schlüsselszene des Buches, weswegen wir natürlich den ca. 5sm langen Umweg in Kauf nehmen. Pricken gibt es auch hier keine aber das ist laut Karte stets so.

Wieder geht es an den Kanten der eng benachbarten Sände entlang, bis deren flache Ausläufer nach kurzem Treideln das abschnibbeln deren letzten Zipfel erlaubt.

Abkürzung über die Hohehörnsände, Westertill

Weiter geht es im kompletten Weiß, dem Navi folgend, zum (einzigen) GPS Wegepunkt „Robbenloch“, unser nordwestlichen Wendemarke auf dem Scharhörn Riff. Die Tonne wurde 2017 verlegt und ich hatte mir die neuen Koordinaten glücklicherweise einprogrammiert.

Eine gute halbe Stunde nach HW erreichen wir das Wattenhoch. Kein Problem, denn es gibt einen ordentlichen Nachlauf der Tide und wir müssen daher nicht gegen den Strom angehen.

Angesichts der Elbe reißt jetzt der Himmel auf und gibt den Blick frei auf die zahlreichen vorbei ziehenden Großschiffe und die drei Scharhörn Baken.

Kurz vor der mittleren, sie hat den klangvollen Namen „B“, steuern wir nach 5h die Scharhörnplate an und genießen ein knappe Stunde wärmender Sonne, in der wir unsere Trockis auslüften und im mitgebrachten Roman noch mal die hinterhältige Falle der Medusa in den Hohehörnsänden nachlesen.

Auf der Elbe wirft vor uns der Friedrichskooger Krabbenkutter „Kormoran“ gerade seine Netze aus und dampft lärmend vor uns her. Ob es wohl der gleichnamige Kutter des düsteren Grimm aus Childers Buch ist?

die mysteriöse ‚Kormaran‘

Jedenfalls ist ihm offenbar sehr schnell ordentlich etwas ins Netz gegangen, denn wir sind schneller als er und holen langsam auf, während er unter Volllast mit schweren Seitennetzen dampft.

Die Sonne hatte jemand inzwischen wieder abgeknipst, Scharhörn liegt bereits wieder im diesigen Dunst.

Bei Bake C biegen wir ab ins Elbe-Neuwerk Wattfahrwasser und passieren Neuwerk mit seinem prägnanten Viereckturm, das um diese Jahreszeit noch ziemlich verlassen aussieht.

Am Fähranleger erheben sich Schwärme von Austernfischern und auch hunderte Nonnengänse machen ordentlich Lärm.

Austernfischer vor Neuwerk

Wir müssen nun etwas rein keulen denn ab Neuwerk läuft uns die auflaufende Tide entgegen. Unsere Geschwindigkeit verringert sich auf 3 bis 3,5kn.

Mittlerweile umfängt uns wieder eine konturen- und horizontlose Diesigkeit und es gibt weder Landmarken noch Seezeichen die uns weisen.

Gelegentlich mit dem Paddel lotend, erkennen wir den Schaafsand, die letzte Sandbank vor dem Ostertill, an der geringen Tiefe und wissen, dass wir das Wattfahrwasser erreicht haben werden, wenn es wieder tiefer wird. Auch hier fehlen alle Seezeichen. Deshalb navigiert Karsten mit seinem GPS, dessen auch ohne Hintergrundbeleuchtung gut sichtbares Display (Garmin eTrex 30) uns wieder auf den Track der Hinfahrt weist. Ohne diese Hilfe hätten wir schon sehr viel Glück haben müssen um die WE12a und von hier die Einfahrtspricken der unscheinbaren Skyline von Spieka zu finden.

Nach 10,5h Fahrt und 65 km mit nur einer Pause treffen wir knapp nach HW wieder in Spieka ein und laben uns dann beim sehr zu empfehlenden örtlichen „Deichrestaurant Peters“.

Fazit: Eine super Tour, zu deren literarischer Vorlage die stimmungsvollen Sichtverhältnisse und die zwangsweise improvisierte Navigation gut passten, die aber auch bei klarer Sicht sicher Spaß macht!

(Fotos von Karsten Hübener und Steffen Wagner)

Route

 

Nachtrag:

In der Publikation Nr. 2010 des BSH  „Winterbetonnung der deutschen Küstengewässer 2017/2018“ ist nachzulesen, dass folgende Tonnen im Winter nicht ersetzt werden, wenn sie durch Eis vertrieben worden sind: W14, W14a, W16, W16a, W18 und W20. Offenbar war der Eisgang im Weser-Elbe Wattfahrwasser diesen Winter so beträchtlich, dass alle diese Tonnen tatsächlich vertrieben wurden, denn wir trafen keine von Ihnen an. Das wir immerhin die Tonnen WE12a/Spieka und Robbenloch antrafen war Glück, denn auch diese Tonnen werden im Winter bei Vertrieb nicht ersetzt.

Übrigens scheint es Bestrebungen seitens des BSH zu geben Ausprickungen von Wattfahrwassern (WfW) einzusparen. Zur Information: Das BSH ist für die Vermessung der beprickten Wattfahrwasser zuständig, das WSA für die Vermessung der betonnten WfW. Mehr dazu sicher in Kürze von unserem Referenten.

Aber auch bei den Tonnen wird gespart: Das WSA Bremerhaven teilte mir diese Woche mit, dass die Tonnen WE2a, WE4, WE6/R9, WE8/R4, WE10/Dorum, WE12/Spieka und WE12a künftig eingezogen werden! Eine kleine Leuchttonne WE4/R4 wird nahe der alten Position der WE8/R4 neu ausgelegt.

Besonders im Winter aber auch wenn in Zukunft tatsächlich immer mehr Tonnen und Pricken wegfallen, werden wir zunehmend darauf angewiesen sein, bei längeren Wattfahrten die verbliebenen Tonnen als Wegepunkte im GPS zu programmieren, um bei schlechter Sicht einen Kurs absetzen zu können. Hierbei können die inoffiziellen Tonnen-Positionslisten der Wattsegler helfen, die jeweils die letzte aktuelle Position angeben: http://www.wattsegler.de/toernplanung/fahrwasseraenderungen.html